Geschlechtergerechtigkeit in globalen Lieferketten. Forderungen an Politik & Unternehmen

Jana Borkenhagen, Gisela Burckhardt, Marek Burmeister, Heike Drillisch, Gertrud Falk, Sepide Freitag, Gabriele Köhler, Maren Leifker, Benjamin Luig, Mara Mürlebach, Carsta Neuenroth, Franziska Pflüger, Christa Randzio-Plath, Karolin Seitz

Frauen und Mädchen sind in besonderem Maße von den negativen Auswirkungen globalen Wirtschaftens betroffen. Ähnlich diskriminiert sind auch Menschen anderer Geschlechtsidentität oder sexueller Orientierung. Der Fokus des Papiers liegt jedoch auf Frauen und Mädchen wegen ihrer starken Präsenz in zahlreichen Lieferketten. Sie erfahren wirtschaftsbezogene Menschenrechtsverletzungen in anderer Weise als Männer. Die Gründe dafür reichen von diskriminierenden sozio-ökonomischen Strukturen und Praktiken bis hin zu patriarchalen und an Klassenherkunft orientierten sozialen und kulturellen Normen.

Die globale Corona-Krise und ihre Auswirkungen verstärken die in der Wirtschaft bestehenden Geschlechterungleichheiten und machen sie noch sichtbarer. Politik, Wirtschaft und Zivilgesellschaft haben die besondere Rolle von Frauen und Mädchen in ihren Initiativen und politischen Debatten zur Vermeidung von wirtschaftsbezogenen Menschenrechtsverletzungen bislang zu wenig beachtet. Eine Ausnahme bildet der im Juni 2019 von der Arbeitsgruppe der Vereinten Nationen (UN) zu Wirtschaft und Menschenrechten veröffentlichte Leitfaden zur Gender-Dimension der UN-Leitprinzipien für Wirtschaft und Menschenrechte.

Um die Gleichstellung von Frauen und Männern in allen Lebensbereichen global zu erreichen, sollten zukünftige politische Maßnahmen, ob auf internationaler, europäischer oder nationaler Ebene, dringend die strukturelle Benachteiligung von Frauen in globalen Wertschöpfungsketten adressieren. Ein geschlechtergerechtes Lieferkettengesetz ist der erste Schritt. Es bedarf einer grundsätzlich auf den Abbau von Diskriminierung ausgerichteten Perspektive.

Staaten und Unternehmen sollten Maßnahmen ergreifen, die über einen do no harm-Ansatz, das heißt die Verhinderung und Milderung von Frauenrechtsverletzungen in globalen Wertschöpfungsketten, hinausgehen. Sie sollten Maßnahmen ergreifen, die eine grundlegende Transformation zur Verwirklichung der Rechte von Frauen fördern.

Das Lieferkettengesetz muss gewährleisten, dass in allen Bereichen der menschenrechtlichen und umweltbezogenen Sorgfaltspflicht geschlechtsspezifische Aspekte berücksichtigt werden:

» Das Lieferkettengesetz sollte klarstellen, dass Unternehmen die in der UN-Frauenrechtskonvention genannten Rechte achten und sich in ihren Grundsatzerklärungen dazu bekennen müssen.

» Das Lieferkettengesetz sollte Unternehmen dazu verpflichten, bei ihren Risiko- und Folgeabschätzungen geschlechtsspezifisch vorzugehen. Dabei sollten sie insbesondere das Risiko von mehrfacher und intersektioneller Diskriminierung; von sexualisierter und geschlechtsspezifischer Gewalt; die besonderen gesundheitlichen Herausforderungen für Frauen und Mädchen; sowie die besonderen Risiken, denen Frauen und Mädchen innerhalb des informellen Sektors und aufgrund der weltweiten Ungleichheiten bei der Sorgearbeit ausgesetzt sind, berücksichtigen.

»  Das Lieferkettengesetz sollte Unternehmen dazu verpflichten, geschlechtsspezifische Maßnahmen zu ergreifen, um negative Auswirkungen ihrer Tätigkeiten zu verhindern und im Schadensfall Abhilfe zu leisten. Unternehmen sollten durch ihre Geschäftsbedingungen, direkte Investitionen und Schulungsangebote sicher- stellen, dass ihre Geschäftspartner*innen in der Lage sind, die Menschenrechte einzuhalten und die Standards zur Gleichstellung der Geschlechter zu erfüllen. U.a. zu folgenden Maßnahmen sollten die Unternehmen verpflichtet werden:

    • Die Unternehmen sollten dazu verpflichtet werden, dass Arbeitnehmer*innen am Arbeitsplatz vor sexualisierter und geschlechtsbasierter Gewalt geschützt werden. Sie sollten Opfern von sexueller Gewalt Zugang zu medizinischer, psychologischer und rechtlicher Versorgung gewährleisten. Die Unternehmen sollten all ihre Geschäftspartner*innen zu einer Null-Toleranz gegenüber Belästigung und Gewalt am Arbeitsplatz verpflichten und Sensibilisierungs-Trainings anbieten.
    • Unternehmen, die im Ausland produzieren lassen, sollten dazu verpflichtet werden, die sexuelle und reproduktive Gesundheit und Rechte ihrer Angestellten als Aspekt des Arbeitsschutzes anzuerkennen und umfassender zu berücksichtigen.
    • Unternehmen sollten die Gewerkschaftsfreiheit und das Recht auf Kollektivverhandlungen insbesondere auch von Arbeitnehmerinnen respektieren und aktiv fördern.
    • Unternehmen sollten dazu verpflichtet werden, auf familienfreundliche Arbeitsbedingungen, Entgeltgleichheit und existenzsichernde Löhne bei ihren Geschäftspartner*innen hinzuwirken und die Teilhabe an sozialen Sicherungssystemen anzubieten, um der Ungleichheit bei der Sorgearbeit entgegenzuwirken.

»  Das Lieferkettengesetz sollte Unternehmen dazu verpflichten, die Wirksamkeit ihrer Maßnahmen anhand von geschlechtsspezifisch erhobenen Daten in Konsultation mit betroffenen Frauen, Frauenorganisationen und Expert*innen nachzuverfolgen.

» Die Unternehmen sollten dazu verpflichtet werden, sichere und zugängliche Beschwerdemechanismen zu entwickeln, mit denen alle Arbeitnehmer*innen vertraut gemacht werden. Geschlechtsspezifische Hindernisse beim Zugang müssen berücksichtigt werden.

  • Die Unternehmen sollten dazu verpflichtet werden, von sexueller Gewalt betroffenen Frauen die erforderlichen Informationen über ihre Rechte zur Verfügung zu stellen, wobei geschlechtsspezifische Hindernisse zum Zugang zu berücksichtigen sind.
  • Opfer von geschlechtsspezifischer Gewalt sollten durch Rechtsberatung unterstützt werden, und im Falle von Mitverantwortung sollte das Unternehmen dazu verpflichtet werden, Prozesskosten zu übernehmen sowie sich an Entschädigungszahlungen bei Rechtsverletzungen zu beteiligen.

Neben der Verabschiedung eines Lieferkettengesetzes sollte die Bundesregierung weitere Maßnahmen ergreifen, um die Rechte von Frauen im Bereich Wirtschaft und Menschenrechte weltweit zu fördern:

»  Die spezifischen Hindernisse, die Frauen beim Zugang zu Recht vor Gerichten erfahren, müssen berücksichtigt und abgebaut werden.

»  Die Bundesregierung sollte sich für geschlechtsspezifische Maßnahmen zum Schutz von Menschenrechtsverteidiger*innen weltweit einsetzen.

»  Die Bundesregierung sollte die Stelle eines*einer Beauftragten für Wirtschaft und Menschenrechte einrichten, der*die das Thema der Geschlechtergerechtigkeit in globalen Lieferketten besonders in seiner*ihrer Arbeit berücksichtigt.

»  Die Bundesregierung steht in der Verantwortung, sich für eine ideelle und finanzielle Anerkennung und eine faire Verteilung von Sorgearbeit weltweit einzusetzen, strukturellen Ungleichheiten mittels Gesetzgebung entgegenzusteuern und faire Rahmenbedingungen weltweit zu fördern.

»  Die Bundesregierung sollte weitere Maßnahmen gegen Steuerbetrug, Steuerhinterziehung und Schattenfinanzzentren verfolgen, damit Regierungen des Globalen Südens dringend benötigte Ressourcen für die Bereitstellung öffentlicher Dienstleistungen zur Verfügung stehen, welche wesentlich für die Bekämpfung von geschlechtsspezifischen Ungleichheiten sind.

 

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